Boom Boom Boris - The World vs Boris Becker

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Julio Sacchi
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Boom Boom Boris - The World vs Boris Becker

Post by Julio Sacchi »

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Alex Gibney ist für mich ja Hero und Zero zugleich. Hero, weil er nun schon seit einer gefühlten Ewigkeiten solide bis sehr gute Dokumentarfilme für ein großes Publikum macht. Und Zero, weil er einst im Dienste des Sundance Channel bei uns mehrere "Durch die Nacht mit"-Folgen angefragt, sich nach Erhalt nie wieder gemeldet und ein Jahr später das Format "Iconoclasts" (Zwei Promis, eine Stadt, ein Abend) präsentiert hat. Naja.
BOOM BOOM BORIS legt den Verdacht nahe, dass Gibney in letzter Zeit ein paar solide bis sehr gute Dokumentarfilme zuviel auf einmal gemacht hat, denn sein zweiteiliges Werk über Tennislegende Becker ist so konventionell wie eine durchschnittliche RTL-Doku. Ästhetisch grenzt das Ganze sogar an spontane Selbstentzündung: Lausige CGI-Animationen eines zum Himmel aufsteigenden Tennisballs sorgen regelmäßig für heftiges Afterjucken und die Western-Allegorien in legendären Tennisspielen (sogar mit Faux-Morricone, Pistolenknall und Freeze Frame) bringen das Fremdschamometer zum Explodieren.

BOOM BOOM BORIS kann sich allerdings auf zwei valuable Players verlassen: Zum einen Gibney, den Tennisaficionado, der hier inhaltlich sehr auf mentale und körperliche Aspekte des Sports setzt und eine Riege allergrößter Namen (Borg, MacEnroe, Wilander usw.) ihre allergrößten Matches analysieren lässt - und zum anderen den gebeutelten Titelhelden, den ich schon lange für seinen trockenen Humor und sein entspanntes Verhältnis zu sich selbst schätze. Becker ist hier auf gewinnende Art selbstironisch, wenn schon nicht selbstkritisch, und präsentiert sich als herausragender Erzähler. Dass er dann auch noch die Berlinale-Bühne betrat und kurz und bescheiden zum Publikum sprach, war dann ein verwandelter Matchball für mich.

So ist BOOM BOOM BORIS trotz seiner enttäuschenden Inszenierung überaus unterhaltsam, weil Gibney die großen Namen nicht nur kriegt, sondern ihnen auch große O-Töne entlockt, und der Film sich immer wieder Humor und Emotion erlaubt, ohne je in ein Extrem zu kippen.
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