Leinwandliebe Film Talk

Alles rein, was östlich von Deutschland, Österreich und Italien liegt!

Miss Violence {2013, Alexandros Avranas} - Griechenland
Verstörende Einblicke in die Abgründe einer griechischen Familie. Beginnt mit einem heftigen Magenschwinger, entwickelt sich dann langsam mit einem dauerhaften Unwohlgefühl, das man aber eher unterbewusst spürt und neugierig darauf ist, wie es sich dann im Film Bahn bricht. Und man bekommt vor allem zum Ende hin einiges geboten. Faszinierend unangenehmer Film mit toller Kameraarbeit, komplett ohne Score und mit guten Darstellern, deren Mimik und Gestik einige Hinweise geben. Heftiges Familiendrama für Fans des abseitigen Kinos.
8,5/10

The Shameless (Bez Wstydu) {2012, Filip Marczewski} - Polen
Ein junger Mann hegt ein ungesundes Verlangen nach seiner älteren und labilen Halbschwester.
Kategorie "Das kleine Fernsehspiel" auf polnisch. Coming of Age, verbotene Liebe, Neonazis, Zigeuner ... Eine irgendwie lustige Mischung. Die Neonazis sind natürlich Arschlöcher, die Probleme der Zigeuner sind patriarchale Strukturen und die Halbgeschwisterliebe ist ein heißes Eisen. Insgesamt wird das aber ganz gut verarbeitet, die beiden Hauptdarsteller sind gut gewählt und das Ende gefiel mir sehr. Mit 80 Minuten auch ohne Ballast erzählt. Auf Netflix.
Ach ja, beginnt mit einer Szene im polnischen Zug.
7/10

Playing Hard (Zabawa, Zabawa) {2018, Kinga Debska} - Polen
Die Geschichten von drei Frauen, die ein Alkoholproblem haben, werden in jeweils separaten Erzählsträngen präsentiert, wobei immer hin- und hergesprungen wird, was aber geschickt gemacht wird. Es wird nicht nach den genauen Ursachen gefragt, sondern einfach der aktuelle Zustand und die Lebensumstände geschildert, grundsätzlich eher neutral, wertungs- und vorwurfsfrei. Wie im realen Leben auch, verlaufen die drei Schicksale teils ähnlich, aber letztendlich im Endergebnis unterschiedlich. Der Abschluss der Geschichten ist dann quasi halboffen, was in dem Fall eine sehr gute Lösung ist. Gelungene Herangehensweise insgesamt und ein spannender Film, der ohne Effekthascherei und allzu plakative Szenen auskommt, die Frauen mit all ihren Schwächen gut porträtiert.
7,5/10

Schöner Thread. Mit griechischem Kino wollte ich mich noch eingehender beschäftigen (Lanthimos, Angelopoulos noch fast gar nix gesehen) und von MISS VIOLENCE hab ich auch schon gehört.

A Decent Man (Un Om La Locul Lui) {2018, Hadrian Marcu} - Rumänien
Der Bohringenieur Petru befindet sich in einer Zwickmühle: Er steht kurz vor der Hochzeit mit seiner schwangeren Freundin Laura, hat aber gleichzeitig eine Affäre mit Sonia, der Frau eines Arbeitskollegen. Als Sonia einen Arbeitsunfall hat, fühlt er sich schuldig. Zugleich fühlt er sich jedoch auch verantwortlich für Laura und sein ungeborenes Kind.
Extrem reduziertes und recht sprödes Beziehungsdrama, das gänzlich ohne Score und Musik auskommt. Man hat das Gefühl, dass das Tempo immer mehr verlangsamt wird. Die Figurenkonstellation ist ganz interessant, aber man braucht schon viel Geduld und letztendlich passiert einfach zu wenig, damit man dem Film was abgewinnen kann. Nur für absolute Puristen geeignet. Zumindest das Ende hat mir gut gefallen. Neutrale
5,5/10

Rumänische Filme sind immer so extrem schwere Kost.
Da mag ich die polnischen Filme lieber. Vor allem die mit Berenger

Du Slinkel!

Well {2016, Attila Gigor}
Eine Tankstelle mitten im Nirgendwo: Ein junger Mann kommt, um seinen Vater abzuholen. Am selben Tag hat ein Lieferwagen mit vier Prostituierten, die auf dem Weg in die Schweiz sind, an derselben Tankstelle eine Panne.
Am Anfang muss man sich an das etwas hölzerne Schauspiel und die sehr gemächliche Gangart einstellen. Dann gewinnt die Geschichte aber immer mehr an Kontur, die Charaktere machen Spaß und die Geschehnisse beginnen ein klein wenig zu eskalieren, nachdem die bösen Jungs eintreffen. Den spröden, osteuropäischen - in dem Fall ungarischen - Charme und den trockenen Humor mochte ich mal wieder.
Der Erstling von Regisseur Attila Gigor "The Investigator" lief 2008 sogar auf dem Fantasy Filmfest und kam da ziemlich gut weg. Mal schauen, ob ich den irgendwo finden kann. "Well" gibt's zumindest bei Prime unter dem deutschen Titel "Wild".
7/10

Diese Schweizer

Digger {2020, Georgis Grigorakis}
Ein Bauer lebt allein im Herzen eines Bergwaldes in Nordgriechenland, wo er seit Jahren gegen ein expandierendes Industriemonster kämpft, das die Flora stört und seinen Grundbesitz bedroht. Als sein Sohn nach 20 Jahren nach Hause zurückkehrt, werden die beiden unter einem Dach zu Feinden.

Hörte sich eher nach trockenem Filmgenuss an, die Neugier war dann aber doch zu groß, griechisches Kino jenseits von Lanthimos auszuprobieren. Klassische Vater-Sohn-Konfliktgeschichte mit den typischen Höhen und Tiefen, dessen herbstliches Szenario perfekt dazu passt. Da gibt's schon eine Menge toller Aufnahmen. Interessant waren dabei die Einheimischen vom Dorf, die sich zwar als Einheit sehen, aber gegenüber der Bergbaufirma sehr unterschiedliche Einstellungen haben. Das Finale ist äußerst gelungen und schließt die Geschichte perfekt ab.
7,5/10

Es gibt tolles griechisches Kino. Aber das läuft alles unter dem Radar.